Als Erzählerin arbeite ich viel mit der Stimme. Ich habe einem sprechintensiven Beruf und könnte mich auch Sprecherin oder Spoken Word Artist nennen. Meine Stimme trainieren und regelmässige Stimmarbeit ist für mich selbstverständlich und auch notwendig. Schliesslich ist meine Stimme ein wichtiges Werkzeug für mich.
- Die Stimme ist Übermittlerin von inneren Bildern und Emotionen.
- Die Stimme ist das, was die Sprecherin direkt mit den Zuhörern verbindet. Wir atmen alle die Luft, die den Klang von meinem Mund zum Ohr der Zuhörer trägt.
- Durch die Stimme kommunizieren wir, mit ihr kann man den Reichtum von Informationen ausdrücken.
- Im Klang einer Stimme zeigt sich viel von einer Person, von ihrer Befindlichkeit und Lebensgeschichte. Person kommt ja von dem lateinischen Wort ”per-sonare”, das bedeutet soviel wie ”hindurch-tönen”.
Jede Stimme ist individuell und einmalig
Live ist Live Aufführung
Die menschliche Stimme erschafft immer etwas Neues,
das kein zweites Mal wiederholt werden kann.
Jede meiner Erzählaufführungen ist einzigartig.
Selbst wenn ich die selben Worte verwende, klingen jedesmal die Geschichten anders. Beim wiederholten Erzählen bin ich nicht mehr die selbe wie im Moment vorher, ich habe Neues erlebt, es sitzen andere Zuschauer im Saal. So vieles spielt mit, die Akustik im Raum, Aussengeräusche, Atmosphäre, Tageszeit, Aufführungsort, die Zuschauer… vieles wirkt sich auf die Stimme aus.
Alles klingt mit. So klingt meine Stimme jedes Mal anders.
Es ist wie in der Musik: ein anderer Ton, ein Wort ändern und schon macht das einen Riesenunterschied in der Erzählung.
Mündlich erzählen, mit der Stille als Basis
Meine ersten professionellen Bühnenerfahrungen habe ich ja als Puppenspielerin gemacht. Ich war es gewohnt, dass nicht “ich” spreche, sondern “die Puppe spricht”. Beim Marionettenspiel gab es oft eine klare Aufteilung zwischen Puppenspieler und Erzähler. Als Puppenspielerin war ich trainiert still und unsichtbar auf der Bühne zu sein.
Später kam ein langjähriges Training von Pantomime und verschiedenen Bewegungs- und Tanzstilen dazu. Dabei lernte ich zwar mit dem Körper zu sprechen und sichtbar auf der Bühne zu sein, doch die Stimme nutzte ich immer noch wenig. Allerdings vermisste ich die Stimme bei der Bewegung und merkte, dass für mich Bewegung und Stimme zusammen gehören.
Eines ist mir geblieben:
Diese Vereinigung von Klang und Stille.
Noch heute ist die Stille und Ruhe mein Ausgangspunkt beim Erzählen.
Unser Musikinstrument: der Körper
Stimme, Körper und innere Bilder, das sind meine wichtigsten Werkzeuge als Erzählerin:
- Ohne innere Bilder wird die Erzählung flach, unlebendig und mechanisch
- Ohne Stimme kann ich zwar mit dem Körper erzählen
- Ohne Körper kann ich nicht mit der Stimme erzählen (außer über die Hilfsmittel moderner Technologien)
Stimme und Körper gehören zusammen:
- Die Stimme ist die Bewegung des Körpers – umgesetzt in Klang.
- Über die Stimme kann ich Bewegung nicht nur sehen, sondern auch hören.
Sprechen und Stimmarbeit sind nicht nur eine geistige, sondern auch eine körperliche Leistung. Viele Muskeln sind beteiligt, wenn ich erzähle. Wenn man einen Ton erzeugt, werden zwei Drittel des Körpers aktiviert.
Deshalb bindet mein Stimmtraining immer den Körper mit ein. Der ganze Körper wird zum Resonanzkörper.
Wenn ich beim Erzählen mit dem ganzen Sein “in der Geschichte” bin und es zulasse, dass die Stimme den ganzen Körper nutzt, dann kommen Bewegungen und Töne ganz organisch, ganz selbstverständlich und natürlich.
Stimme trainieren
Als Bühnenerzählerin bin ich abhängig von meiner Stimme. Aus dem Grund muss ich regelmässig meine Stimme trainieren und arbeite ich regelmäßig an ihr.
Für Profierzähler ist es hilfreich eine tragende Stimme zu entwickeln, die den Raum auch ohne Mikrofon füllt. Eine kraftvolle Stimme hat die Wirkung, dass die schwerhörige Dame in der 3. Reihe nicht rufen muss: Lauter! Ich verstehe nichts!
Während vieler Jahre Stimmtraining, einzeln und in der Gruppe, bewegte ich mich durchs Dickicht der Stimmbildung:
- Bei einem Stimmtrainer klang ich bald wie eine typische Märchenerzählerin, mit dem Singsang der Ammensprache und diesem gewissen Tonfall. Da blieb ich nicht lange: Baby -Talk ist nicht gerade mein Ideal von Erzählstil.
- Eine andere Sprechtrainerin war eher auf die Sprechtechnik fokussiert. Stundenlang übte ich Texte mit einem Korken zwischen den Zähnen. So die Stimme trainieren machte mir wenig Spass, wenn ich daran denke, schmecke ich noch den faden abgestandenen Geschmack des Korkens.
- Für eine andere Sprecherzieherin war mein schwäbischer Akzent ein gefundenes Fressen. Sie ging auf Kriegszug, um mir eine klassische Bühnensprache beizubringen. Durch die Übungen verschwand mein Akzent auch immer mehr. Doch ich klang nicht mehr wie ich! Es war, als ob jemand anderes durch meinen Mund spricht. Und ich sprach nicht mehr vom Herzen. Mir ist es wichtiger, so zu sprechen, wie mir der Mund gewachsen ist, als mit einer geschliffenen, neutralen Bühnensprache. Wenn ich meinen Akzent nicht verberge, zeige ich auch als Erzählerin etwas von mir als Person. ( Übrigens: nur weh.weh.weh.mugganeschd.ade erzähle ich auf schwäbisch, alles andere in gut verständlichem Deutsch! )
Im Großen und Ganzen habe ich durch Stimmtraining viel gelernt.
Ich lernte gut zu artikulieren und eine klare, klingende Stimme trainieren. Es ging meist um Sprechtechnik, also um die mechanische Nutzung des Körpers, um das Kennenlernen meines (Körper-)Instruments. Oft sehr praktisch Handwerkszeug und sinnvoll.
… und doch, gehört zur Musik mehr als die technische Beherrschung eines Instruments.
Ich wollte nicht im Aussen stecken bleiben, suchte nach Ausdruck.
Da war diese Vision, dieses innere Gefühl, wie “meine Musik des Erzählens” klingt.
Entfaltung der Stimme
Es war ein Glücksfall, dass ich 1996 in USA in einem Workshop mitmachen durfte: seither arbeite ich an meiner Stimme mit der Technik des Roy Hart Theaters und war immer wieder für längere Zeit im Zentrum in Südfrankreich.
Im Stimmtraining des Roy Hart Theaters wird kein Unterschied zwischen Sprechen und Singen gemacht. Da geht es nicht darum, nur BelCanto und die schöne Stimme zu pflegen, sondern es geht auch um Ausdruck, Vergrösserung des Stimmumfangs und persönliche Entfaltung.
- Es geht darum alle Töne und Stimmen zu nutzen, mit der sich die Seele durch die Stimme ausdrücken kann.
- Man entdeckt die Stimme in all ihren Ausdrucksformen, Möglichkeiten und ihrer Vielfalt. Und lernt sie zu nutzen.
- Bewegung, Massagen und Improvisation helfen all die körperlichen und emotionalen Spannungen abzubauen, die einen abhalten bestimmte Töne von sich zu geben.
Lange Zeit war das Singen vor Publikum eine Riesenherausforderung für mich, es war etwas sehr persönliches. Aber ich wollte es auf jeden Fall angehen, wollte Neues ausprobieren und mich aus meiner Komfortzone heraus begeben.
Ich konnte lernen mit der Stimme frei zu werden, mich zu trauen und vorurteilsfrei alle Töne zulassen: von schön bis hässlich, hoch und tief. Obertöne und Untertöne wurden hörbar. Die Stimme kann singen, sprechen, schreien, knarren, quietschen, flüstern, brechen, sich überschlagen.
In den Geschichten, die ich erzähle, kommen alle möglichen Situationen vor und nicht nur liebliche Prinzessinnen, die sanft säuseln. Da ist es gut, dass ich durchs Stimme trainieren die Charaktere in verschiedenen Stimmen sprechen lassen kann. Deshalb fühle ich mich dieser Stimmschulung sehr verbunden.
… und immer wieder erlebe ich einen Rückkopplungs-Effekt:
- Wenn ich an meiner Stimme arbeite, hat das Auswirkungen auf meine Persönlichkeit
- Wenn ich mich persönlich weiter entwickle und verändere, zeigt sich das in meiner Stimme
Von der Stimme zur Stimmung
Bei meinen Erzählprogrammen geht es mir ja besonders um eine Symbolik, noch bin ich auf die Bedeutung der Worte fokussiert – viel mehr auf die Emotionen, die mit einer Geschichte verbunden sind.
Jede Geschichte hat ihre eigene Stimme und Stimmung, die sich in meiner Erzählerstimme spiegelt. Ich gehe beim Erzählen von inneren Bildern und Emotionen aus und lasse die Stimme entsprechend klingen. Meine Stimme ist dabei wie das Sprachrohr, der Lautsprecher. Beim Erzählen verleihe ich der Geschichte eine Stimme, immer auf der Suche stimmig zu erzählen.
Die Stimme ist Ausdrucksmittel feinster seelischer Stimmungen, sie gibt emotionale Hinweise und ruft Emotionen beim Zuhörer hervor. Jeder kennt das vom Telefonieren, da kann man so vieles über die Befindlichkeit des Gesprächspartners erkennen, nur am Klang der Stimme. Der in New York geborene Tenor und Stimmtrainer Evan Bortnick beschreibt das so schön:
“Stimme ist wie eine dritte Hand. Wir können andere damit berühren.”
In der modernen Gehirnforschung kann man das sogar beweisen und sichtbar machen. Beim Zuhören werden bestimmte Nervenzellen im Gehirn aktiviert, sogenannte Spiegelneuronen. Je musikalischer und melodischer die Stimme der Sprecherin ist, je mehr sie mit Laut und Leise spielt, desto grösser sind die Auswirkungen auf die Emotionen in der Zuhörer. Dann ist es für die Zuhörer, als ob sie das Gehörte selbst sprechen.
Das Hören einer erzählenden Stimme
macht den Zuhörer
zum innerlich sprechenden Erzähler.
Ist das nicht wunderbar?
Zum Internationalen Tag der Stimme, am 16. April: Schon lange wollte ich einen Artikel über die Stimme schreiben und so war die Blogparade “Voice Matters!” von Frederik Beyer ein willkommener Anlass.
Sie interessieren sich für die Kunst des Erzählens?
Schauen Sie doch mal in meinem Blog Ethnostories vorbei. Dort veröffentliche ich immer wieder Gedanken und Tipps über die Erzählkunst. Sie können in der Kommentarfunktion auch Fragen stellen, die ich gerne in meinen Texten berücksichtigen werde.
- Zungenbrecher – lustige Sprechübungen für bessere Aussprache
- Hilfe, meine Stimme ist weg! – Stimme pflegen
- 5 Tipps gegen Lampenfieber
- Richtig erzählen? Gibt es das überhaupt??
- Erzählen üben vor dem Spiegel
Blick ins Repertoire:
Die Geschichtenspielerin Uschi Erlewein spielt:
Geschichten von weit her, die nahe gehen