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Richtig erzählen? Gibt es eigentlich richtig oder falsch beim Erzählen?

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 22. Oktober 2022


Erzählen ist menschlicher Ausdruck, ist eine Kunstform und der Ausdruck des Seins. So verschieden die Menschen sind, so verschieden erzählen sie. Deshalb gibt es nicht so was wie “richtig erzählen“.

Für mich gibt es kein “richtig oder falsch” beim Erzählen.

Vielfalt der Erzählkunst

Die Vielseitigkeit und Vielfältigkeit in der Erzählkunst ist doch faszinierend! Jede Art zu erzählen, hat ihre eigene Berechtigung! Es fasziniert mich immer wieder, den Reichtum und die Verschiedenheit menschlichen Ausdrucks erleben zu können.

Wir sind wie ein Instrument und so wie jedes Instrument seinen ureigenen Ton hat, hat jede Erzählerin ihren ureigenen Ton.

Es stimmt mich eher traurig, wenn man schon an der Erzählweise erkennen kann, aus welcher Schule eine Erzählerin stammt. Offenbar gibt es Erzählerausbildungen, die einen recht engen Horizont der Erzählkunst lehren und ihre Schüler auf einen bestimmten Stil einschwören. Das finde ich ziemlich befremdlich.

Richtig erzählen, das klingt in meinen Ohren sehr verkopft und schulmeisterlich. Als ob Erzählen so zu bewerten sei, wie eine Rechenaufgabe.

Alle Worte richtig wiedergegeben, wie im Märchenbuch. Alle “Qualitätskategorien” abgehakt und die Prüfung bestanden. Aha, Erzählerin X nutzt nicht mehr als x % indirekte Rede. Geschichtenerzähler Y kann genügend, also 50 Märchen erzählen. Märchenerzählerin Z  hat die Prüfung bestanden, ist diplomiert und zertifiziert. Also erzählt sie “richtig und gut”.

Mit Kunst hat das alles herzlich wenig zu tun.

Malte etwa Picasso “falsch”, nur weil er eine andere Art von Perspektive und nicht die Zentralperspektive benutzt? Malten die Impressionisten “falsch”, weil sie weißem Schnee blau malten? In der Kunst geht es darum, dass jeder seinen ureigenen Weg geht, seine eigenen Kriterien erstellt.

Kunst braucht Freiheit

“Bist du in einem System, fliegst du auch irgendwann mal raus. Erfindest du dich selbst, gibt es keine Regeln, die erfindest du auch selbst.”

Juliette Binoche

So drückte das die Schauspielerin Juliette Binoche in einem Interview einmal aus. Wie wahr! Gerade als Künstlerin kann ich doch meine ureigenen Regeln innerhalb der Kunstform entwickeln.

Ich denke, dass es keine “objektive” Form gibt, ein Märchen oder eine Geschichte zu erzählen. Der Versuch Märchen objektiv wiederzugeben kann deshalb nur scheitern und ist ein Widerspruch in sich.

Schon die Tatsache, dass die Erzählung aus meinem Mund, mit meinem Atem, meiner Stimme und meinen Körper erklingt, schon dadurch ist sie von mir geprägt. Damit werde ich ein Teil der Geschichte und die Geschichte ein Teil von mir.

Wenn ich das Erzählen als Kunst verstehe – nicht als pädagogische Methode oder therapeutische Maßnahme – ist es für die Zuhörer viel interessanter, wenn die Persönlichkeit des Erzählers die Geschichten durchdringt. 

Es geht nicht darum, die richtige Technik oder Methode des Erzählens auszuüben. Sondern darum, was sich damit ausdrückt, was durch die Technik durchscheint. Nicht die Technik ist ausschlaggebend, sondern die Gefühle, die sich ausdrücken.

Die Suche nach dem eigenen Stil

Auch geht es um ein Suchen nach meinem individuellen Weg und meinem Erzählstil. Dabei möchte ich keine Formel fürs “richtig Erzählen” finden, denn sobald ich Kunst in ein System presse, ab dem Moment verliert alles seine Magie und sein Leben.

Gerade diese Suche nach dem individuellen, ureigensten Weg und Ausdruck ist mir eine wesentliche Triebfeder im Leben als Künstlerin.

Wenn ich diese Freiheit in der Erzählkunst nicht nutze, sondern auf den Markt und andere Erzähler schiele, dann blockiere ich mich selber und bremse mich in der Entwicklung aus.

Originalität als Qualitätsmerkmal für Kunst. Deshalb: Sei lieber authentisch und originell.

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Stimmig erzählen statt richtig erzählen

Statt das Erzählen in Kategorien von richtig und falsch einzuteilen, halte ich einen anderen Begriff für sinnvoll: “stimmig” erzählen.

In anderen Worten: jemand erzählt so, in sich schlüssig, dass die Form der Erzählweise mit der Person der Erzählerin und der Geschichte in Resonanz schwingt. Auch das Erzähl-Repertoire sollte stimmig zum Erzähler passen.

Als Erzählerin versuche ich sowohl der Geschichte, als auch der Kultur gerecht zu werden. Ich suche nach Wegen, wie ich die Bilder der Geschichte deutlich vermitteln kann. Dann gibt es mich mit meiner Biographie, mit all dem was ich gelernt, gesehen und erlebt habe.

Ich komme vom Körpertheater und der Stimmimprovisation, habe Training in diversen Tanz- und Bewegungsformen, bin bildende und darstellende Künstlerin. Deshalb ist mir auch das Visuelle wichtig. Kostüm, Bewegung, Stimme sind mir alle wichtige Ausdrucksmittel, über die viele Klangfarben in die reine Worterzählung einfliessen.

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Suche nach der stimmigen Form

Wenn ich mich gegen die Kriterien “richtig und falsch” ausspreche, heißt das also noch lange nicht, dass ich für meine Arbeit keine Prinzipien und Ziele habe. Natürlich bin ich stets auf der Suche nach der stimmigen Form jeder Geschichte, die ich erzähle.

Ich habe einen hohen Anspruch an mich und meine künstlerische Arbeit, habe Prinzipien, die aber nur für mich gelten, die weder allgemeingültig sind, noch sein sollen. Meine Art zu erzählen ist sehr persönlich, deshalb habe ich nicht den Anspruch allgemein gültige Regeln über die Erzählkunst zu befolgen. Es liegt mir fern damit Standards setzen.

Ich habe das Bestreben all mein Sein in den Geschichten anklingen zu lassen. Ich möchte die Geschichten leben lassen, ihnen Raum und Präsenz geben, sie gegenwärtig machen und verlebendigen.

Und ich habe das Vertrauen: Qualität setzt sich durch, jenseits von falsch und richtig.

Meine Devise: mit den Worten des Dichters Dschalal ad-Din Rumi aus dem 12. Jahrhundert

“Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.”

Dschalal ad-Din Rumi

Blick ins Repertoire:

Leserstimme zu diesem Text:

Liebe Uschi Erlewein, mir gefallen ihre Worte über das Erzählen, dass jede ihren eigenen Stil findet, dass Kunst Freiheit braucht, und woher Sie ihren Geschichtenschatz haben.

Ich bin auch Erzählerin, ich sage Halbprofi, da ich nicht den Anspruch habe, damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber was die Leidenschaft oder besser noch mein innerer Weg ist – 100% Ich habe bei Elisa Hilty unsere Erzähl- und Märchenkunde angereichert. Das ist aber schon eine Zeitlang her.

Ein Teil meiner Neugierde und meiner Freude ist das Reisen, gerne auch in Verbindung mit Erzählen, Wandern, Landschaft und Kultur erleben.

Liebe Grüße, Daniela Tax

Wer schreibt hier:

Uschi Erlewein spielt Geschichten von weit her, die nahe gehen.
Professionelles Tourneetheater, generationsübergreifende Programme für Kinder und Erwachsene, kulturvermittelnde Erzählkunst.

Szenisch erzählte Geschichten aus und über andere Kulturen, ungewöhnliche Märchen, Mythen entführen auf eine Hör-Reise in andere Welten.