Artikelfoto: Erzähler-Biographie: Seit wann erzählen Sie ?
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Seit wann erzählen Sie? – Seit wann sind sie Geschichtenerzählerin?

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 22. Oktober 2022


Das werde ich sehr oft gefragt … Ja, wann begann ich zu erzählen?
Heute ist das ist der Grund, mir darüber einmal Gedanken zu machen.

Das ist eine der Fragen, die ich (noch?) nicht vollständig beantworten kann.
Wann habe ich damit begonnen?

Was meint diese Frage eigentlich???

Seit wann ich erzähle

Als ich reden lernte?
In der Zeit vor dem Sprechen lernen, als ich mit Körpersprache kommunizierte?

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Erzähle ich, seitdem ich begann meinen Lebensunterhalt mit Erzählaufführungen zu verdienen?
Als ich die ersten bezahlten Aufführungen machte?

Seit ich mich mit Mythen, Märchen, Geschichten und dem Erzählen beschäftige?
Eigentlich habe ich schon immer erzählt, gerne beobachtet und Märchen gelesen – ja viele Jahre las ich nur Märchenbücher.

Erzähle ich erst, seitdem ich das erste Mal vor Publikum erzählte?
Oder seitdem ich als professionelle Erzählerin Aufführungen mache und hauptberuflich davon lebe?
Das ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei …

Je mehr ich mir das Ganze überlege, desto mehr Fragen kommen mir.
Und wahrscheinlich sind diese Fragen auch meine Antwort.

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Beim Meistererzähler lernen

Geschah es, als ich meinen Theaterlehrer Tony Montanaro zum ersten Mal sah, wie er mit dem Körper sprechen kann, was er mit seinen inneren Bildern machte, sie auf die Zuschauer projizierte und sich von einem Mann in einen Gockel verwandelte. Von einem Mann in einen Affen und wieder zurück zu Tony? War es da?

Sicher ist jedenfalls, dass ich bei Tony den Erzählstil entwickelte, wie ich heute Geschichten szenisch mit Bewegung spiele. Er unterstützte mich dabei. Allerdings verstand ich damals oftmals nicht wirklich, was er an Verbesserungsvorschlägen machte, als ich von ihm Regie bekam.

Erst seit Tony nicht mehr in unserer Welt ist, verstehe ich mehr und mehr wie mein Szenisches Erzählen mit Körper und Sprache aussieht. Und das auch nur, weil ich beständig daran arbeite.

Hingabe an die Kunst

War es, als ich 1996 nach einem intensiven Aufführungserlebnis auf der Bühne im Celebration Barn Theater ( Sommertheater / USA ) allein dastand, die rotgoldenen Stühle vor mir sah, alle anderen waren nicht mehr da, ich war allein und verabschiedete mich von dem Ort, dachte an all die guten Erfahrungen, an diese Präsenz, Tiefe und Wachheit, die ich auf der Bühne verspüre.

Vor allem wenn ich so arbeite, wie ich es von Tony lernte. Begann ich da in dem Moment, als ich mir versprach, dass ich vom Geschichtenerzählen leben möchte, dass ich großteils nur noch das machen möchte?

Schreiben als Übung

Oder war es, als ich vor 25 Jahren begann jeden Morgen mindestens 1 Stunde zu schreiben? Sicher ist, dass das mir hilft meine Gedanken zu ordnen. Schreiben hilft mir zu verstehen, wie meine Worte fließen, wie mein Gedankenatem sich in Worte formt.

Gewecktes Interesse

Oder begann es Anfangs der 70er Jahre, als ich Elsa von Kamphoevener im Radio erzählen hörte, mit “An Nachtfeuern der Karawan-Serail” ?

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Abenteuergeschichten

Begann meine Erzählerseele zu hüpfen, als ich im Alter von 8-12 Jahren all diese Reiseberichte las über Mittel-und Südamerika, Thor Heyerdahls Pazifikabenteuer, über Ägypten, die Maya, über China, Japan, …

Damals antwortete ich auf die Frage nach meinem Berufswunsch: “Botanikerin oder im Urwald Pyramiden ausgraben”.

Im Dschungel der Erzählwelt

Noch heute begebe ich mich in den Urwald und grabe Schätze aus. Diese Vielzahl und Unzähligkeit der Geschichten sind wie ein dicht bewachsener Urwald und es geht mir darum da Ursprüngliches zu finden, es auszugraben und wenn nötig auch zu restaurieren und wieder ein paar Steine zusammen zu setzen.

In diesem Urwald begegne ich auch so manchem wilden Tier, das mir mein Futter neidet, das versucht einen Platzhirsch-Kampf zu beginnen. Und Affen gibt es zur genüge, die versuchen mich imitieren. Manchmal treffe ich auf Verwandte und gehe ein Stück des Weges mit ihnen gemeinsam.

Erzählen im Museum

Oder bin ich Erzählerin erst seit 2004, als ich im Linden-Museum mit der Erzählreihe “Die weite Welt in Worten” begann und seither dort regelmäßig erzähle?

Märchen in der Therapie

Oder begann ich mit erzählen, als ich als Kunsttherapeutin Malübungen mit Grimms Märchen verband? Papiertheaterinszenierungen von Märchen und Geschichten anleitete, Mythen in Maskenseminaren und Handpuppenspiele umsetzte?

Lesen, Lesen, Lesen

Seit den Zeiten, als ich jahrelang nur Märchen, Mythen, Erzählungen, Legenden, Geschichten aus der ganzen Welt las?

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Märchen und Gestaltung

Begann ich zu erzählen, als ich Studenten in Finnland aus gefundenen Worten Geschichten entwickeln ließ, die zu Bilderbüchern führten.

Oder begann es, als ich als 20-jährige Puppenspiel und Puppenbau studierte, dann nach dem Studium an einer Puppenbühne erzählte und Sprecherin für die Marionetten war?

Familiengeschichten zuhören

Oder war es, als ich Oma und ihrem Handtaschengeschwader bei Tee, Anisbrot und Sockenstricken zuhörte, wie sie “von Früher” erzählten? Sie und meine ganze Familie erzählten, um das Trauma des 2. Weltkrieges mit all seinen Schmerzen und Verlusten zu verdauen.

War das der Beginn meiner Erzähler Biographie? Habe ich da begonnen zu erzählen, als ich den Geschichten lauschte?

Geschichten verlebendigen

Oder damals, als ich den Studentinnen in Finnland auf einer winzig kleinen Insel erzählte? Es war ein strahlender Sommertag, blauer Himmel, kein Wölkchen am Himmel. Dort auf der kleinen Insel stand ein kleiner runder Pavillon, halb zerfallen mit weißen Holzsäulen und himmelblauer Kuppel.

Ich erzählte die Geschichte von den drei Männern, die in einen Schneesturm kamen. Es stürmte in der Geschichte und Schneeflocken fielen vom Himmel – und plötzlich aus dem Nichts, genau an der Stelle, als ich das erzählte, pfiff eine Windböe über die Insel und Regentropfen fielen aus dem blauen Sommerhimmel. Die Studentinnen schauten sich fassungslos an, die Erzählung war in dem Moment Wirklichkeit geworden. War es da?

Oder als ich den Ethnologen auf einem Kongress hörte, der von einem Erzähler in Rumänien oder Bulgarien berichtete, der die Dinge von denen er erzählte tatsächlich geschehen lassen konnte. Damals dachte ich, “so möchte ich erzählen können …”

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Wie ich zur Erzählerin und Geschichtenspielerin wurde?

Ich kann nicht sagen, vor soundsovielen Jahren habe ich angefangen.
Ich kann nur sagen, wann dieses Leben begann, wann ich geboren wurde.
Seither hat sich alles weiterentwickelt und zusammenfügt.

Neulich sagte jemand:
“Geburt – Tod – an dem Dazwischen arbeite ich noch.”

Meine Erzähler Biographie ist wie ein Mosaik.
Von überall kommen kleine Stückchen dazu, die anfangs scheinbar nur Chaos ergeben.
Erst mit der Zeit bemerkt man, dass ja doch ein Bild entsteht.

Blick ins Repertoire:

Leserstimmen zu diesem Text:

… deine Antworten lesen sich sehr schön …

Inge

Ja, ich finde sie überaus spannend und interessant, Ihre Beruf-ung, liebe Uschi Erlewein. Ich warte darauf, dass ich Sie mal erleben kann.

Waltraud

Weitere Informationen über mich finden Sie in diesen Texten:

Schauen Sie doch auch mal in meinem Blog Ethnostories vorbei. Dort veröffentliche ich immer wieder Gedanken und Tipps über die Erzählkunst.

Wer schreibt hier:

Uschi Erlewein spielt Geschichten von weit her, die nahe gehen.
Professionelles Tourneetheater, generationsübergreifende Programme für Kinder und Erwachsene, kulturvermittelnde Erzählkunst.

Szenisch erzählte Geschichten aus und über andere Kulturen, ungewöhnliche Märchen, Mythen entführen auf eine Hör-Reise in andere Welten.