Auch in der Erzählkunst gilt, dass man den handwerklichen Teil lernen kann. Das Handwerk der Kunst kann unterrichtet werden.
Aber Künstler musst du sein. Das hat viel mit der Wahrnehmung von sich selber und von der Welt zu tun.
Kunst kommt von Können
Kommt Kunst von Können? Vom Wortstamm her ist es wohl schon so: [ Wikipedia: Ursprünglich ist kunst ein Substantivabstraktum zum Verbum können mit der Bedeutung “das, was man beherrscht; Kenntnis, Wissen, Meisterschaft” Quelle: Wikipedia ]
Doch gilt das heute noch? Zu Zeiten nach Konzeptkunst, Objet trouvé und Ready-Made ? …
Die Definition des Begriffes “Kunst” ist schwierig, es geht dabei um ideelle Werte, die viel von historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Sichtweisen abhängen.
Der russische Künstler El Lissitzky sagte einmal
Wenn du mich fragst, was die Kunst sei, so weiß ich es nicht. Wenn du mich nicht fragst, so weiß ich es.
Dieser Ausspruch zeigt, dass Lissitzky offenbar mehr aus dem Bauch heraus urteilte und weniger intellektuell. Auch Pablo Picasso äusserte sich ähnlich:
Sie erwarten von mir, dass ich Ihnen sage, dass ich Ihnen definiere: Was ist Kunst? Wenn ich es wüsste, würde ich es für mich behalten. Ich suche nicht, ich finde.
Pablo Picasso
Bei Gesprächen mit Künstlerkollegen erlebe ich das immer wieder, dass vielen die Worte fehlen für die Definition von Kunst. Schliesslich drücken sich bildende und darstellende Künstler über ihre künstlerischen Medien aus und seltener über Worte.
In seinem Roman “Der Maler” schreibt der Literatur-Nobelpreisträger Patrick White so treffend:
“Erklär mir das doch mal mit der modernen Kunst.”
“Wenn man das erklären könnte, mit Worten, dann würde ich nicht malen.”
Ich habe nicht den Anspruch hier allgemein verbindliche Aussagen zu machen, sammle nur, was mir durch den Kopf fließt …
Vielleicht trifft ja derjenige auf den Punkt, der sagt:
Kunst ist das, was man selbst als Kunstwerk betrachtet.
Ist Erzählen Kunst oder Nichtkunst?
Erzählen ist Kunst, vermutlich eine der ältesten Künste der Menschheit.
Wie bei jeder Kunstform kann man Wirkungen auf den Menschen beobachten: Natürlich wird durch Zuhören die Aufmerksamkeit geschult. Kinder können angeregt werden zu lesen und einen Zugang zur Sprache bekommen. Mythen und Legenden sind ein wichtiger Beitrag für die kulturelle Bildung. Durch Märchen und ihre symbolischen Bilder können Themen in der Psyche angeregt werden …
Trotzdem will ich nicht die Erzählkunst auf ihre pädagogische oder heilsame Wirkung begrenzen. Künstlerischer Ausdruck braucht keine Rechtfertigung.
Kunst soll gar nichts. Kunst ist nicht dazu da, etwas zu sollen. Man kann … Kunst hat keinen Auftrag, außer Kunst zu sein.
(Markus Lüperitz im Videoprojekt “Was ist Kunst”)
In vielen Kulturen ist Erzählen als Kunst anerkannt und hoch geschätzt, wie bei den amerikanischen Indianer, im Orient, Kirgistan, Mali, Japan, Sibirien … die Liste ist lang.
Nur bei uns in Deutschland ist es mit der Anerkennung nicht weit her. Wenn Literatur als Erzählkunst bezeichnet wird, dann schon.
Ich spreche hier aber von Erzählen als darstellende Kunst. Ich spreche also von Erzählern, die ohne Buch vor dem Publikum stehen und frei erzählen. Sie werden oftmals eher in die Pädagogik-, Esoterik- oder Hobbyecke gesteckt.
Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob Erzählen und Märchen noch zeitgemäß sind. Ganz anders, wenn Erzählen in modernem Outfit ankommt, z.B. als Poetry Slam, da ist es wieder anerkannt als Kunstform.
Meinem Verständnis nach ist Erzählen die kleinste Form des Theaters und die älteste Form von Literatur. Und wie Theater selbstverständlich als Kunst anerkannt ist, sollte auch das Erzählen anerkannt werden.
Was macht einen eigentlich zum Künstler?
Dranbleiben ist sicherlich wichtig. So viele meiner Studienkollegen, aus der Kunstakademie, haben irgendwann aufgehört zu gestalten, obwohl sie zum Teil sehr begabt waren. Vielleicht haben sie das Schaffen aufgehört, weil sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhten?
Immer wieder kommt man ja als Künstlerin an Punkte voll Zweifel, ist unzufrieden mit dem Geschaffenen oder (Existenz)Ängste tauchen auf. Und gerade in solchen Momenten geben viele auf.
Für mich gehört das zum Schaffensprozess und ich mache trotzdem weiter. Mittlerweile sind mir diese Momente sogar willkommen, denn damit kündigen sich meist neue Entwicklungen in meiner Arbeit an.
Ich selber habe eigentlich nie daran gezweifelt, ob ich Künstlerin bin. Vielleicht weil ich Kunst, Kunsttherapie, Kreativitätstraining, Figurentheater, Körpertheater … studierte? Ich bin bildende und darstellende Künstlerin.
Vielleicht ist es Ausdruck meines Selbstbewusstseins – oder ich habe mich auch nur im Laufe der Jahre daran gewöhnt und es ist mir selbstverständlich geworden. Das ist es was mich beschäftigt, wovon ich meinen Lebensunterhalt bestreiten mag. Da liegt meine Leidenschaft, mein Ausdruck, mein Können. In diesem Bereich kenne ich mich aus und das ists, was ich kann.
Von Zeit zu Zeit mache ich auch Auftragsarbeiten, suche mir die Themen aber genau aus. Dabei muss ich immer frei und nicht weisungsgebunden in meiner Gestaltung bleiben.
Sicherlich könnte ich mehr und leichter Auftritte bekommen, wenn ich bekannte Märchen erzählen würde. Die Zuschauer und Veranstalter laufen dem hinterher, was bekannt ist durch Film, Fernsehen oder Bücher. Damit ist es leicht die Säle zu füllen.
Trotzdem bleibe ich meinen unbekannten Geschichten aus fremden Kulturen treu.
Man darf es in der Kunst nicht allen recht machen, sonst produziert man nur Mittelmaß.
Wann wird Erzählen zur Erzählkunst?
Wir Profierzähler sprechen selbstverständlich von Erzählkunst, doch was macht den Unterschied zwischen gutem Erzählen und Erzählkunst? Erzählen kann doch jeder, so wie auch jeder Mensch singen, tanzen, kochen oder malen kann.
Und doch gibt es Erzähler, die einen mitreissen, die eine ganz eigene Form für sich entwickelt haben, deren persönliche “Handschrift” erlebbar ist.
Da beginnt für mich Erzählkunst. Wenn jemand einen ganz eigenen Stil und Ausdruck entwickelt. Einen besonderen Erzählstil, eine Gestaltung mit ureigener Sichtweise.
Nicht so sehr das WAS, das WIE macht den Unterschied.
Diese Erzählkunst entfaltet sich durch beständige Auseinandersetzung, durch Dranbleiben an der Kunst, Weiterlernen, Neuentwickeln, durch Wissen und Erfahrung. Und mit den Jahren des Schaffens entsteht aus all den vielen Einzelstücken das Werk eines Künstlers. Aus der Summe der Einzelteile entsteht ein Ganzes.
Nein, ich denke nicht, dass man dafür nur die entsprechende Ausbildung zur Geschichtenerzählerin gemacht haben muss. Auch ein Hochschulabschluss oder die “richtigen” Lehrer macht mich zwangsläufig nicht zur Künstlerin – viele Künstler der Moderne sind nicht den akademischen Weg gegangen.
Kunst hat auch die Freiheit Neues auszuprobieren, neue Wege zu gehen.
Handwerkliches Können ist beim künstlerischen Arbeiten durchaus hilfreich und das Handwerk kann man bei einem guten Lehrer lernen. Kann, aber nicht muss.
Ja, ich habe das Bedürfnis zu gestalten. Da ist diese innere Vision und Ahnung einer Form, die erschaffen sein möchte. Da ist der Gestaltungswille und das Verlangen mich über mein künstlerisches Medium auszudrücken.
Ich selber mag mich meistens nicht mit dem vorgefertigten Text einer Geschichte begnügen. Deshalb schreibe ich die Geschichten neu, in meinen Worten. Erst dann bin ich zufrieden, wenn möglichst alles aus meiner Hand stammt. Aus dem Grund mache ich auch vieles andere selber: begonnen von den Texten der Geschichten, bis hin zum Nähen des Kostüms oder zum Design der Webseite. Alles aus einem Guss.
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Leserstimmen zu diesem Text:
Liebe Uschi,
Du bringst es wieder auf den Punkt.
Nach meiner Ausbildung wollte-konnte ich mich nicht direkt Erzählerin nennen.
Es passte (noch) nicht für mich. Wie ein paar neue Schuhe: Du hast sie ausgesucht. Sie sind schön und bequem, aber trotzdem musst du sie einlaufen, bis dein Fuß den richtigen Halt, die Passform gefunden hat.
Für mich war es auch eine Frage des Respekts gegenüber den Erfahrenen.
Inzwischen sage ich: Die Ausbildung (1 Jahr) war Teil der Lehre. Es folgte Zeit des Entdeckens (lesen, zuhören, unterwegs sein, wahrnehmen). Jetzt bin ich in der „Gesellenzeit“ – eigenverantwortlich, entscheidend, im kleinen Rahmen auftretend.
Die Erzählkünstler sind für mich die MeisterInnen des Faches – so wie Du sie beschreibst.
Nach alter Handwerksordnung dauerten Lehre und Gesellenzeit je drei Jahre, bevor man nach dem 7. Jahr die Meisterprüfung ablegte.
So gesehen, dürfen sich auch ErzählerInnen Zeit nehmen zu lernen, zu proben und prüfen bevor sie meisterliche ErzählkünstlerInnen werden, die jede/r aufmerksame ZuhörerIn erkennen wird
Liebe Grüße
Regina Klein-Nadarzinski
Liebe Regina,
das Lernen und Weiterentwickeln wird immer bleiben. Auch Erzählerinnen mit langjähriger Erfahrung dürfen und müssen sich Zeit geben, um Neues zu entwickeln. Manche Geschichte braucht bei mir 2 Jahre bis sie so weit gereift ist, um das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken. Wenn irgendmöglich versuche ich solch langsamer Entwicklung auch Raum und Zeit zu geben. Leider ist das besonders bei Auftragsarbeiten nicht immer möglich.
Ich finde es gut, wenn du dich nicht unter Druck setzt!
Übrigens im japanischen Figurentheater Bunraku dauert es 30 Jahre und mehr, bis du Meister sein kannst. Selbst nach so langer Zeit ist es nicht sicher, ob einer die Qualitäten dazu hat.
So ist das auch bei Erzählern. Selbst nach 30 Jahren Erfahrung und einem grossen Geschichtenrepertoire kann einer zwar ein guter Handwerker sein. Doch um Erzählkünstler zu sein, braucht es das innere Feuer, eine eigene Vision und einen authentischen Erzählstil. Für mein Verständnis von Kunst, braucht es den Ausdruck des Künstlers, den Fingerabdruck im Material.
Herzliche Grüsse – bleib dran und dir treu beim Erzählen!
Uschi Erlewein – Die Geschichtenspielerin
Hallo Uschi, deine Seite hat mir gut gefallen. Ich bin auch der Meinung, dass ich Kunst so mache, wie ich es für richtig halte. Malen, Zeichnen, Geschichte ausdenken mit eigener Fantasie.
Danke, du hast mich bestärkt,
Liebe Gedanken
Arabrab
Hallo Arabrab,
JA! Geh unbedingt Deinen eigenen Weg weiter! Kunst ist Ausdruck. Darum gehts – und nicht um Gleichmacherei und Normen …
Kennst Du schon meinen Blog Ethnostories, dort veröffentliche ich noch mehr über das Leben als Künstlerin. Schau doch immer wieder vorbei / Du kannst die neuen Blogbeiträge auch als Email abonnieren. Ich freue mich über einen regen Austausch!
herzliche Grüsse
Uschi
Blick ins Repertoire:
Die Geschichtenspielerin Uschi Erlewein spielt:
Geschichten von weit her, die nahe gehen