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Der Auftritt ohnegleichen – Als mir die Bühne zur Heimat wurde

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 22. Oktober 2022


Wann war mein “allerschönster” Auftritt? Schwer zu sagen!

Ich schaue zurück auf professionelle Auftritte als Puppenspielerin, Clown, als Klinikclown, als Schattenspielerin, Mime, als Maskenspielerin, Erzählerin … mit Schwerpunkten auf Körpertheater, Stimme, Improvisation. Und in allen Bereichen erinnere ich mich an wunderbare Aufführungen und so manchen besonderen Auftritt …

Doch es gibt den einen Auftritt, der mir sehr wichtig ist.

Davon will ich erzählen:

Mein wichtigster Auftritt als Geschichtenspielerin

Es geschah im Sommertheater der Celebration Barn in Maine, USA. Zu der Zeit lebte mein verehrter Mentor und Theaterlehrer Tony Montanaro noch.

Tony unterrichtete nur noch wenig und so nutzte ich jede Gelegenheit, soviel wie möglich, von ihm zu lernen. Über 7 Jahre arbeitete ich mit seiner Hilfe daran, meinen Erzählstil zu entwickeln.

Es war einer von Tony´s letzten Workshops. Wir waren eine internationale Gruppe von Künstlern aus Südafrika, Japan, Brasilien, USA, Kanada, Hawaii und Deutschland.

Bunt zusammen gewürfelt aus Anfängern, erfahrenen Vollprofis, international bekannten Künstlern, die teilweise seit mehreren Jahrzehnten Tony´s Schüler waren. Magier, Erzähler, Jongleure, Trainer, Pantomimen, Schauspieler, Musiker, Sänger, Clowns, Akrobaten … die unterschiedlichsten Darsteller waren vertreten.

An den Wochentagen hatten wir Unterricht: von morgens neun bis abends zehn oder elf Uhr. Der Unterricht fand auf der Bühne eines kleinen Sommertheaters statt. Am Wochenende wurde aus unseren Szenen, Geschichten, Jonglage-Acts und Gruppenimprovisationen ein öffentlicher Theaterabend.

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Celebration of life and art

Ich erinnere mich an dieses tiefste Glücksgefühl, das mich bei einem Auftritt im Celebration Barn Theater durchströmte.

Ja, wir feierten die Kunst und das Leben.

Heimat auf der Bühne

Wie so oft war das Theater ausverkauft. Alle 120 Plätze waren belegt, der Abend war schwül und heiß – ein typischer Sommer in Maine, USA. Das Publikum war sehr unterschiedlich, Bauern aus der Nachbarschaft, Sommergäste aus New York, Theaterkollegen, Kulturliebhaber, die Verkäuferin aus dem Supermark …

In dem Sommer habe ich an einigen Geschichten gearbeitet, sie inszeniert und neu geschrieben. Manches pantomimisch, manches gesprochen – natürlich in englischer Sprache.

Auf der Bühne dort konnte ich mit viel Körpereinsatz erzählen: tänzerisches vermischte sich mit Körpertheater und Improvisation.

Ich freute mich darauf, beim Auftritt den Zuschauern zeigen zu können, was ich erarbeitet hatte. Da war nichts mehr von der Angst vor Versagen, da war kein Lampenfieber vor dem Auftritt oder Aufregung.

Ich hatte bei Tony Wesentliches gelernt: nicht “gegen” sondern “zusammen mit den Zuschauern” zu spielen.

In anderen Worten, es ging nicht darum zu zeigen, wie toll ich bin oder darum alles “richtig” zu machen. Sondern es ging um das Teilen, um das Mit-teilen.

Erst bei Tony lernte ich, nicht etwas “vorzuspielen”. Er lehrte mich, was immer ich auf der Bühne mache, an den “Punkt Null”, an “Das Sein” zurück zu kommen.

Nicht etwas sein wollen: ich erzähle nicht als die mitreißende Künstlerin. Ja auch nicht mal als diejenige, die konzentriert im Sein ist.

Ich suche den Punkt in mir, wo mich keine Gedanken beherrschen: wo ich bin, wo ich im Sein bin.

Andere würden es wohl “im Jetzt” nennen. Von dort aus sollten wir spielen: “Sein” und jederzeit bereit etwas zu verkörpern, sich zu wandeln, zu improvisieren.

Das ist wohl eine meiner wichtigsten Erfahrungen:
als die Bühne mir zur Heimat, zur Wohnung wurde.

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Weichenstellen: Erzählen ohne Grenzen

Besonders bei meinem Solo – Auftritt, als ich meine Geschichte spielte, gelang es mir die Zuschauer ganz in die Geschichte eintauchen zu lassen.
Es war, als ob die Geschichte sich selbst erzählte und wir -die Zuschauer und ich- ein Teil der Geschichte wurden.
Es war wie träumen, ohne dabei zu schlafen.
Sondern zentriert zu sein.
Und blitzwach!

Die Geschichte breitete sich vor mir aus wie eine dreidimensionale Landschaft, in der ich zusammen mit den Zuschauern hindurch wanderte.
Alles war so lebendig und real.
Und erlebbar.
Für uns alle! Alles ging so schwerelos.
Ich brauchte nur den Anfang der Geschichte finden.
Es war wie auf einer Welle zu surfen.
Ich musste nur warten bis die Welle kommt,
bis der richtige Moment kommt,
um aufzuspringen.
Und dann ließ ich mich von der Welle tragen.

Wieder waren die ca. 120 Zuschauer mit mir in die Welt der Geschichte eingestiegen.
Diese atemlose Stille, mein Blick in Gesichter, in denen ich lesen konnte.
Sie waren ganz eingetaucht in ihre Imagination.

Zusammen träumten wir die Geschichte.
Nicht ich war es, die etwas “vorträgt”, sondern alles geschah in diesem Augenblick.

An dem Abend war ich noch lange wach. Die anderen waren schon längst schlafen gegangen, ich stand allein auf der Bühne und ließ den Abend noch einmal in Gedanken vorüber ziehen.

“Das ist es! Erzählen, Spielen, Erzählspielen. Das möchte ich in den kommenden Jahren machen. Ein Geschichten-Repertoire aufbauen und in Zukunft hauptsächlich von Erzählaufführungen leben!”

Das habe ich mir an dem Abend selbst versprochen.
Und das Versprechen gehalten!

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Eine Blogparade war ein willkommener Anstoß mich mit meinem Weg zur Profierzählerin zu beschäftigen.

Ich habe so viel notiert, dass ich in nächster Zeit Erlebnisse aus meiner Zeit als Klinikclown hier auf der Webseite und in meinem Blog ethnostories.de erzählen werde. Unter anderem habe ich bereits darüber geschrieben, unter welchen Voraussetzungen eine Aufführung gelingen kann.

Mehr Informationen über mich als professionelle Erzählerin:

Haben sie schon entdeckt, hier auf meiner Website können Sie viele Artikel über meinen Ansatz beim Erzählen finden.

Blick ins Repertoire:

Die Geschichtenspielerin Uschi Erlewein spielt:

Geschichten von weit her, die nahe gehen

Leserstimmen zu diesem Text:

Liebe Uschi, das ist wieder einmal ein inspirierender Bericht, Danke dafür! Mit deinen Artikeln geht es mir so:
Mal, öfter, manchmal an der einen oder anderen Stelle finde ich mich selber wieder, dann wieder bin ich sehr beruhigt nicht allein zu sein. Was ich aber am allerspannensten finde ist etwas über dich, deine Arbeit, Erlebnisse und Gedanken zu erfahren, das ist schön. Bitte mach weiter!

Kirsten Stein – Natürlich Märchen

Wer schreibt hier:

Uschi Erlewein spielt Geschichten von weit her, die nahe gehen.
Professionelles Tourneetheater, generationsübergreifende Programme für Kinder und Erwachsene, kulturvermittelnde Erzählkunst.

Szenisch erzählte Geschichten aus und über andere Kulturen, ungewöhnliche Märchen, Mythen entführen auf eine Hör-Reise in andere Welten.