Märchenerzählerin … für Kinder Geschichten erzählen … ist doch schön, dass sie ihr Hobby zum Beruf gemacht haben!
Wenn mir jemand so was mit strahlenden Augen sagt, dann wird mir immer etwas mulmig. Zeigt so ein Spruch nicht auch darauf, dass mein Beruf als professionellen Erzählerin nicht ganz für ernst genommen werden kann? Manchmal klingt noch ein gönnerischer Ton dabei mit, bei dem ich unwillkürlich an die vielen, vielen Stunden Arbeit denke, die in den Augen anderer Menschen als “Zeitvertreib und Hobby” angesehen werden.
Was man nicht alles gesagt bekommt
Ich höre ähnliches nun schon seit ich vor über 40 Jahren die Schule verlassen habe:
- “Puppenspielerin? Kann man denn davon leben ?!?”
- “Töpferei? Das mach ich auch! Ich hab neulich in der VHS auch einen Töpferkurs belegt. Das würde ich auch gerne machen … meine Bastelarbeiten verkaufen … Wie bitte, so teuer? Aber sie haben das kleine Teil doch in wenigen Minuten gemacht …”
- “Arbeitet denn eine Kunsttherapeutin überhaupt? Die sitzt doch bloss da und guckt zu, was andere malen …”
- “Clown? Das könnt ich auch, den ganzen Tag Spass machen und rumhampeln …”
- “Geschichten erzählen, ja kann man das lernen? Ist das denn ein Beruf? Das ist doch sicher Ihr Hobby!”
- “Sie brauchen bloß für 1 Märchen zu unserem Geburtstagsfest kommen ( allein die Anfahrt hätte dabei über 2 Stunden gedauert! ), das ist doch dann nicht so teuer …”
Diese Liste könnte ich verlängern bis ins Unendliche.
Wenn ich hier sitze und schreibe, fallen mir immer mehr ein …
Oh das Bild vom Bohemien, vom Künstler, der nicht wirklich arbeitet, sitzt so tief!
Arbeiten Künstler eigentlich?
Dadurch, dass wir Freischaffenden unsere Zeit selber einteilen können, sieht es für Ahnungslose tatsächlich oftmals so aus, als ob wir nichts arbeiten. Wenn ich bis spät Nachts an einer neuen Geschichte schreibe, oder nach einer Aufführung um 2.00 Uhr in der Frühe nach Hause fahre, sieht mich ja keiner.
Wenn ich zum Beispiel nach solch einer kurzen Nacht am nächsten Morgen mit verschlafener Stimme ans Telefon gehe, höre ich oft:
“Oh, Entschuldigung! Habe ich Sie aufgeweckt?”
Aha! Die Künstlerin schläft natürlich Morgens lange aus!
Hier können Sie einen Eindruck gewinnen, wie so ein typischer Aufführungstag aussieht.
Natürlich macht mir die Arbeit Freude, sonst hätte ich sie ja nicht gewählt. Es ist mir erstrebenswert, dass meine Erzählaufführungen nicht wie Arbeit, sondern mühelos wirken – das ist für mich ein klares Qualitätsanzeichen für gutes Geschichten erzählen.
Nein, ich beklage mich nicht, denn ich möchte ja gerade diese Verbindung von Kunst und Leben. Ich will nicht trennen zwischen Arbeit und Freizeit.
Es wäre nur schön, wenn genauer hingeschaut und das Künstlerleben nicht so falsch eingeschätzt würde.
Profierzähler leben von der Erzählkunst
Es gibt zahlreiche semi-professionelle Märchenerzählerinnen oder Hobbyerzähler, die umsonst oder für einen eher symbolischen Betrag auftreten. Ihnen ist die Freude gesehen zu werden und die Märchen zu erzählen viel wichtiger als das Honorar – denn sie bestreiten nicht ihren Lebensunterhalt durch das Erzählen.
Solange der Beruf des Erzählers als Hobby und nicht als vollwertiger Beruf angesehen wird, solange ist es schwer verständlich, dass es viele Unterschiede zwischen Hobby und Profierzähler gibt.
Immer wieder werde ich von Veranstaltern gefragt, “Können Sie mir denn auch eine Rechnung schreiben?“
Na klar! Was für eine Frage!
Für eine Profierzählerin ist das doch selbstverständlich. Als Freiberuflerin brauche ich doch auch solche Unterlagen für meine Buchführung und Einkommenssteuer.
Bitte unterscheiden Sie zwischen Hobbyerzähler und Profierzähler. Als Profierzählerin brauche ich auch eine professionelle Bezahlung für meine Arbeit, damit ich meinen Beruf ausüben und die Kosten decken kann. Nur eine professionelle Gage ermöglicht die Qualität der Arbeit.
In anderen Berufsgruppen ist das doch auch so:
Es gibt einen Preisunterschied, ob ich mir vom Friseur die Haare scheiden lasse oder von der Nachbarin. Wenn ich beim Bäcker einen Kuchen kaufe, dann kostet er auch mehr, als ein selbst gebackener.
Ein Fachmann sorgt sich um die Qualität seiner Arbeit, bildet sich weiter, investiert in Ausbildung und Ausrüstung, widmet seine ganze Zeit seinem Fachgebiet und er lebt davon – das alles schlägt sich im Preis nieder.
Geschichten erzählen ist mein Beruf
Erzählen und Geschichten spielen ist meine Kunstform. Je ernster ich meine Kunst als Erzählende nehme, desto mehr steigt auch der Anspruch professionelle Arbeit zu machen.
Geschichten erzählen ist mein Beruf und nicht nur Hobby und Zeitvertreib, es ist mein hauptberuflicher Broterwerb.
Klar, viele wissen gar nicht richtig was alles dazu gehört, um freischaffend zu sein. Sobald man von seiner Erzählkunst auch lebt, ändert sich vieles. Es gibt dann ausser dem reinen Erzählen noch so viel zu tun und zu erledigen.
Wenn ich dabei nur an den oft langen Weg von der Anfrage bis zur Aufführung denke, an die Absprachen, Emails, Telefonate, die ich mit Veranstaltern führe, bis ein Engagement zustande kommt. Damit vergehen viele Stunden und Tage, die keiner sieht! Wie jede Selbstständige arbeite ich im Grunde rund um die Uhr, 7 Tage die Woche.
Ich muss Steuer und Versicherungen bezahlen, Buchführung machen, Werbung betreiben, Fortbildungen finanzieren. Die Ausgaben für die Erarbeitung eines Erzählprogramms, Kostüme, Auto, Bühnenequipment, Bücher, meine Recherche in vielen Ländern der Welt … wollen durch die Aufführungen erwirtschaftet werden.
Übrigens:
als freischaffende Erzählkünstlerin gehöre ich zur Branche der Kunst- und Kreativwirtschaft.
Mehr zum Thema: auf Wikipedia und der Initiative der Bundesregierung
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Mehr über die Kunst des Erzählens
Im Blog Ethnostories veröffentliche ich Artikel über allgemeine Gedanken über Kunst und Kreativität, Storytelling, meine Recherche Reisen und Tipps über die Erzählkunst. Gerne berücksichtige ich Fragen, die Sie stellen, in neuen Texten.
Blick ins Repertoire:
Leserstimmen zu diesem Text:
Liebe Uschi,
vielen Dank für Deinen tröstlichen Artikel.
Du hast mir, wie so oft, aus der Seele geschrieben.
Über die Sache mit dem morgendlichen Ausschlafen musste ich schmunzeln…
Alles so bekannt und schön das es mal jemand ausspricht … ähm ausschreibt!
1000 X Dankeschön!Dir wünsche ich weiterhin Erfolg und (uns Allen) noch viele Artikel dieser Art.
Liebe Grüße aus Nordhessen Kirsten Stein ( Erzählerin )Ein grosses Dankeschön an Dich zurück, liebe Kirsten. Denn beim Schreiben ists ja wie beim Erzählen: Texte brauchen Leser, Erzähltes braucht Zuhörer.
Ich freue mich sehr, dass Du meine Texte liest! Deine Kommentare sind mir auch deshalb wertvoll, weil sie bestätigen, dass ich über Dinge schreibe, die andere hauptberufliche Erzähler genauso erleben …
Wie gesagt, ich schreibe weiter, sowohl hier auf meiner Erzählerseite, als auch in meinem Künstlerblog Ethnostories.de
Stay tuned! Viele Grüsse von UschiHallo Frau Erlewein, vielen Dank für diesen wundervollen Artikel, den ich gerade durch Zufall entdeckt habe. Ich bin ein Märchenzauberer, noch etwas anderes als eine Geschichtenspielerin, aber im Endeffekt erleben wir das Gleiche. Die Kunst und das Geschichten erzählen sind für mich ein Handwerk, dass beherrscht werden muss, jahrelange Übung vorausgesetzt und das ist es was einem “Hobbyisten” des Öfteren fehlt. Denn wie so oft höre ich auch den Satz “Märchen erzählen kann ja jeder, da muss man nicht lange üben für”. Es tut gut, dass andere die selbe Erfahrung gemacht haben oder immer noch machen. Nun frage ich mich, warum ist das so? Es ist wirklich schade, dass unsere Kunstform oft so unterschätzt wird. Nebenbei, wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt, dann erhalte ich auch relativ oft ein Schmunzeln, mittlerweile hingegen auch sehr oft ein freudiges Lächeln.
Die Arbeit, die dahinter steckt, um sein Handwerk praktizieren zu können wird leider nie gesehen, anders ist es ja bei einem Schmied oder ähnlichem. Sofern vielen Dank für diesen Artikel!
Hallo Märchenzauberer Jan! Ich glaube, dass das Einzige was wir tun können ist informieren, informieren, informieren … Eigentlich kann ich gar nicht sauer sein auf Menschen, die einfach nicht wissen, worin genau unsere Arbeit besteht. Bei einer Ballerina, die auf der Bühne tanzt, sieht man nicht den Muskelkater, die Schmerzen im Fuß, den Schweiss all der Trainingsstunden. Es ist die Leichtigkeit, die das Publikum mitreisst. Ich werde hier noch öfters über solche Sachen schreiben …
grosses Dankeschön für Ihren Kommentar,
Uschi Erlewein